Auswirkungen der Emotionsarbeit in der sozialen und pflegerischen Dienstleistung auf das Führungshandeln
Vorbemerkung
Seit vielen Jahren wird der Begriff Dienstleistung in den Bereichen der Sozialen Arbeit und der Pflege zunehmend verwendet. Die veränderten Logiken in der Erbringung von Beratung, Pflege, Unterstützung, Hilfe und Begleitung, ausgelöst auch durch zunehmende Ökonomisierung, haben dazu geführt, dass diese auch in den Bereich der Dienstleistungsbranchen subsumiert werden. Dies hat Folgen nicht nur für das Management dieser Unternehmen, sondern auch in den Anforderungen an Mitarbeitende und Führungskräfte in turbulenten Umfeldern. Im direkten Kontakt ist aus fachlichen, aber auch aus dienstleistungsorientierten Gründen Emotionsarbeit notwendig und sinnvoll. Mitarbeitende in sozialen und pflegerischen Arbeitsfeldern sind von dieser Anforderung also in mindestens in zweifacher Hinsicht herausgefordert. Auf die Fragestellung, ob und mit welchen Folgen der Kundenbegriff in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsfeldern genutzt werden kann, wird in den Ausführungen nicht weiter eingegangen. Nur ein kurzer Hinweis zu diesem Thema. Je nachdem, wie wir unser Gegenüber definieren, definieren wir uns selbst in den jeweiligen beruflichen Rollen. Von Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen einmal ganz abgesehen.
Ich möchte zum Nachdenken einladen, welche Bedeutung und welche Folgen die Anforderung von Emotionsarbeit für die Soziale Arbeit und die Pflege hat. Gemeint sind hier die dort tätigen Menschen.
- In Part 1 beschäftige ich mich mit grundsätzlichen Fragen der Emotionsarbeit und deren Auswirkungen.
- In Part 2 reflektiere ich die Führung von Emotionsarbeitenden. (erscheint im 1. Quartal 2025)
- In Part 3 wende ich mich der Fragestellung zu, ob Führungskräfte auch Emotionsarbeitende sind und welche Folgen, das für Führungsverhalten haben kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Bedürfnisse und Bedarfe von Emotionsarbeitern in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen
- Erfüllung der Bedürfnisse und Bedarfe von Emotionsarbeitern in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen durch Führungskräfte
- Geeignete Führungsstile und -weisen für den Umgang mit Emotionsarbeitern
- Fazit
1. Einleitung
Früher wurden Emotionen in Unternehmen als Störgrößen wahrgenommen, heutzutage sind sie eine profitable Ressource (Haubl, 2011, S. 205). Die eigenen Gefühle zu kontrollieren und kompetent mit ihnen umzugehen, ist daher Bestandteil der fachlichen Qualifikation im Dienstleistungssektor geworden (vgl. Dunkel, 1988, S. 67). Aufgrund der strukturellen Veränderungen der Sozialen Arbeit und Pflege wird dies ebenfalls von Beschäftigten in diesen Branchen erwartet (vgl. Wohlfahrt, 2016, S. 14). Doch „Gefühlsarbeit“ (Hochschild, 1990, S. 30) leisten zu müssen, bedeutet für Betroffene, die eigenen Emotionen nicht nur zu kontrollieren und zu regulieren, sondern sie letztlich zu negieren. Ohnehin weisen Beschäftigte in helfenden Berufen ein hohes Gefährdungspotenzial für einen Burn-out auf (vgl. Grimmer, 2015, S. 10–11; Sendera & Sendera, 2013, S. 102), was durch die Emotionsarbeit möglicherweise verstärkt wird.
Führungskräfte sind bekanntlich dafür da, die Arbeitsmotivation der Mitarbeitenden zu stärken, was heutzutage in erster Linie mittels Bedarfs- und Bedürfniserfüllung erfolgt, wobei gutes Führen vor allem Beziehungsarbeit bedeutet (vgl. Heltzel, 2021, S. 281; Schreyögg & Koch, 2015, S. 326, S. 344). Insofern stellt sich die Frage, inwieweit die Herausforderung der Emotionsarbeit in helfenden Berufen wie der Sozialen Arbeit und Pflege von den Mitarbeitenden durch den Einfluss der Führungskräfte besser bewältigt werden kann. Emotionen sind somit für Führungskräfte kein störendes Beiwerk, sondern eine relevante Komponente ihrer Führungstätigkeit (vgl. Stadelmaier, 2008, S. 441). Dementsprechend wird in dieser Arbeit folgende Forschungsfrage untersucht:
Wie können Emotionsarbeiter im Bereich der sozialen Dienstleistungen am besten geführt werden?
Hierzu wird anhand der Führungstheorien herausgearbeitet, wie es Sozialarbeitern und Pflegekräften erleichtert werden kann, Emotionsarbeit zu leisten bzw. wie diese vor den möglicherweise negativen Auswirkungen der Emotionsarbeit für die eigene psychische Gesundheit geschützt werden können. Die Fragestellung wird aus einer systemischen und psychodynamischen Perspektive beantwortet.
Im nachfolgenden Kapitel 2 werden zunächst die Bedürfnisse und Bedarfe von Emotionsarbeitern in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen dargelegt. Danach wird in Kapitel 3 untersucht, wie diese von Führungskräften erfüllt werden können. Hierzu werden nachfolgend in Kapitel 4 geeignete Führungsweisen aufgeführt. Kapitel 5 rundet die Arbeit mit einem Fazit ab.
2. Bedürfnisse und Bedarfe von Emotionsarbeitern in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen
Zu unterscheiden ist zunächst zwischen Bedürfnissen und Bedarfen, obwohl beide Begriffe häufig fälschlicherweise synonym verwendet werden (vgl. Halfar, 2022, S. 81). Bedürfnisse sind Ausdruck von subjektiven Mangelgefühlen, die mit dem Streben nach ihrer Beseitigung verbunden sind, das heißt Bedürfnisse können als Spannungszustände verstanden werden, die sich aus einer subjektiv empfundenen Mangellage ergeben (vgl. Burmeister, 2022, S. 85). Unterschieden wird zwischen elementaren und naturgegebenen Grundbedürfnissen (die im Sozialstaat durch das Existenzminimum garantiert werden) sowie erlernten und gesellschaftlichen vermittelten Bedürfnissen sowie zwischen Individual- und Kollektivbedürfnissen (vgl. Burmeister, 2022, S. 85). Kollektivbedürfnisse werden zwar individuell wahrgenommen, sie werden aber als öffentliche Bedürfnisse durch gesellschaftliche bzw. politische Institutionen anerkannt und mithilfe von öffentlichen Gütern in organisierter Weise befriedigt (vgl. Burmeister, 2022, S. 85). Dadurch werden sie gesellschaftlich legitimiert und als Bedarf normiert (vgl. Burmeister, 2022, S. 85), weshalb ein Bedarf als „beschaffungsbezogene Konkretisierung von Bedürfnissen“ (Halfar, 2022, S. 81) zu verstehen ist.
Maßgeblich sind zunächst die Grundbedürfnisse Existenzsicherung, Individualität und Integrität, seelische Geborgenheit und Sicherheit, Autonomie, Feiern und Spielen, spirituelle Verbundenheit sowie Integrität (vgl. Lüneburg, 2019, S. 15 f.). Gemäß der Maslow’schen Bedürfnispyramide sind die menschlichen Bedürfnisse hierarchisiert, das heißt, am wichtigsten sind physiologische Bedürfnisse (wie Nahrung, Kleidung, Wohnen), gefolgt von sicherheitsrelevanten Bedürfnissen, worauf soziale Bedürfnisse wie Gemeinschaftsstreben und Zusammengehörigkeit folgen (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 334 f.). Dem Defizitprinzip zufolge streben Menschen nach der Befriedigung ihrer unbefriedigten Bedürfnisse, sodass eine Handlungsmotivation nur so lange besteht, wie die genannten Bedürfnisse (noch) nicht sichergestellt sind (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 334).
Es kann davon ausgegangen werden, dass in unserer modernen westlichen Arbeitswelt die physiologischen und sicherheitsrelevanten Grundbedürfnisse gedeckt sind, sodass eher auf die sozialen Bedürfnisse, die Wertschätzungsbedürfnisse und die an der Spitze der Bedürfnispyramide stehenden Selbstverwirklichungsbedürfnisse (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 334 f.) fokussiert werden sollte. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung wird nicht nur durch den Arbeitsinhalt, sondern auch durch den Grad der Einbindung der Mitarbeitenden befriedigt. Roth (2021, S. 113 ff.) zufolge haben Mitarbeitende ein Bedürfnis nach mehr Informationen, um Entscheidungen und Vorgänge zu verstehen und nachzuvollziehen, sie wünschen sich Kommunikation mit ihren Führungskräften und sie wollen partizipieren, das heißt involviert sein, anstatt nur informiert zu werden.
Daran anschließend stellt sich die Frage, welche spezifischen Bedürfnisse Emotionsarbeiter in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen haben. Zur besseren Einschätzung kann es hilfreich sein, die spezifischen Anforderungen an Emotionsarbeiter bzw. die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu berücksichtigen: Zwischen ihrer empfundenen und der sozial bzw. betrieblich erwünschten Emotion besteht eine Diskrepanz, die mal größer und mal kleiner sein kann, weshalb entweder die erwünschten oder erforderlichen Emotionen (beispielsweise Freundlichkeit und Lächeln) oberflächlich präsentiert werden, ungeachtet ihrer tatsächlich empfundenen emotionalen Realität (‚surface acting‘), oder es wird versucht, die erforderlichen Emotionen innerpsychisch tatsächlich entstehen zu lassen (‚deep acting‘; vgl. Altmann, 2015, S. 30; Rothe et al., 2017, S. 25).
Dementsprechend ist es denkbar, dass Beschäftigte das Bedürfnis nach persönlicher Authentizität haben, das heißt nach einem temporären Verzicht auf Emotionsregulation, um einfach ‚man selbst zu sein‘, das heißt ohne sich im Sinne einer Umkehr der empfundenen Emotionen total verstellen zu müssen. Es kann sein, dass beispielsweise Sozialarbeiter in der Emotionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen an ihre eigene Kindheit und Jugend erinnert werden, wo sie zum Beispiel zu Erwachsenen lieb und nett sein sollten, obwohl ihnen gar nicht danach war, sie also bereits früh Emotionsarbeit leisten mussten. Wer ältere Menschen pflegt und dabei Emotionsarbeit leistet, wird womöglich während seiner Arbeit von Gedanken an die eigenen Eltern geplagt, denn auch im Umgang mit ihnen muss Gefühlsarbeit geleistet werden.
Soziale Dienstleistungen weisen also aufgrund der dominanten zwischenmenschlichen Komponente ein besonders hohes Risiko der Entstehung von belastenden Erinnerungen auf, die unmittelbar nach dem Erinnern (zum Beispiel an die eigene Kindheit) emotionsarbeiterisch bewältigt, also letztlich verleugnet werden müssen. Dadurch steigt das ohnehin aufgrund der Emotionsarbeit bereits bestehende Belastungsempfinden weiter an, sodass Emotionsarbeiter in sozialen Dienstleistungsberufen vermutlich das Bedürfnis haben, diese Vorgänge bewusst zu thematisieren.
3. Erfüllung der Bedürfnisse und Bedarfe von Emotionsarbeitern in sozialen und pflegerischen Dienstleistungsberufen durch Führungskräfte
Für Führungskräfte ist es zwingend notwendig, die (individuellen) Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu identifizieren, damit sie ihr Führungshandeln danach richten können, sodass keine negativen Gefühle aufseiten der Mitarbeitenden entstehen (vgl. Lüneburg, 2019, S. 16). Simpel ausgedrückt richten sich die Ziele der Mitarbeiterführung folglich nach den im Schlaglicht der Emotionsarbeit stehenden Bedarfen und Bedürfnissen der Geführten, die im vergangenen Kapitel beschrieben wurden. Die Herausforderung für Führungskräfte besteht somit darin, die möglicherweise uneindeutigen Botschaften sowie die Gemüter der Mitarbeitenden adäquat zu interpretieren, um im Sinne einer Bedürfnis- und Bedarfserfüllung angemessen darauf zu reagieren.
Hierbei besteht eine klare Abgrenzung zu idealtypischen Forderungen, die sich aus dem Mythos des Chefs als visionärem Vordenker und Lenker ergeben (vgl. Hetzel, 2021, S. 283 f.), das heißt, Führungskräften kann nicht abverlangt werden, beispielsweise die Gedanken ihrer Mitarbeitenden zu lesen. Stattdessen sind sie aufgefordert, Beziehungsarbeit zu leisten, wofür es erforderlich ist, Emotionen (sowohl die eigenen als auch die der geführten Person) nicht zu ignorieren, sondern bewusst wahrzunehmen, zu nutzen und somit zu steuern (vgl. Stadelmaier, 2008, S. 436 ff.).
Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Psychodynamik, das heißt die Berücksichtigung der unbewusst ablaufenden Prozesse in der Interaktion und Kommunikation mit den Mitarbeitenden (vgl. Heltzel, 2021, S. 32; Lewkowicz & Neukorn, 2019, S. 14). Denn Bedürfnisse werden häufig auf der unbewussten Ebene geäußert, weshalb viele Menschen ihre tatsächlichen Bedürfnisse gar nicht benennen können und stattdessen materielle Bedarfe äußern. Beispielsweise wünschen sich manche Mitarbeitende eine Gehaltserhöhung, obwohl sie eigentlich das Bedürfnis nach mehr Wertschätzung für ihre Arbeit haben. Mehr Geld ist zwar auch eine Form der Anerkennung, aber sie ist vergänglicher, das heißt, im Zeitverlauf nimmt ihre motivationsstiftende Funktion ab (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 341). Es muss aber sichergestellt sein, dass Mitarbeitende mit ihrem Gehalt ihr Grundbedürfnis nach Existenzsicherung befriedigen können.
Sofern dies der Fall ist, besteht die Aufgabe der Führungskräfte darin, die darüber liegenden Bedürfnisse zu identifizieren. Kenntnisse der Psychodynamik können Führungskräften dabei helfen, auf den ersten Blick rätselhafte Verhaltensweisen ihrer Mitarbeitenden sozusagen zu durchschauen und ihrem wahren Kern zumindest auf die Spur zu kommen (vgl. Lewkowicz & Neukorn, 2019, S. 51). Anstatt Detektiv zu spielen, reicht es dann unter Umständen bereits aus, die eigene emotionale Intelligenz beim Führungshandeln zu gebrauchen (vgl. Stadelmaier, 2008, S. 437 f.) und eine positive, wertschätzende Beziehung zu den Mitarbeitenden aufzubauen und zu pflegen.
Problematisch ist aber, dass viele Führungskräfte nicht wissen, wie sie die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden positiv beeinflussen können, weshalb sie stattdessen Strategien der Selbstfürsorge propagieren (vgl. Haubl, 2012, S. 370). Mattes (2022, S. 92 f.) weist allerdings darauf hin, dass die Prinzipien einer gesunden Selbstführung ebenso für die gesunde Mitarbeiterführung gelten, das heißt, wenn Führungskräfte Selbstführung leben, so wirkt sich dies automatisch positiv auf die Mitarbeitenden aus. Es können an dieser Stelle nicht sämtliche Aspekte der Selbstführung behandelt werden, doch vor dem Hintergrund der im vergangenen Kapitel herausgearbeiteten Bedürfnisse der im sozialen Dienstleistungsbereich tätigen Emotionsarbeiter erweist sich der Aspekt der Wertschätzung als zentral.
Weil Emotionsarbeiter in ihrem Berufsalltag das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz kaum erfüllen können und es durch das Erfordernis des ‚surface acting‘ sogar eher zerstört wird, müssen Führungskräfte sich wirklich für ihre Mitarbeiter interessieren (vgl. Mattes, 2022, S. 112 f.). Insofern ist es Aufgabe der Führungskraft, die fehlende emotionale Authentizität und Offenheit der Emotionsarbeiter zu kompensieren. In der Beziehung zur Führungskraft können ihre Bedürfnisse nach Wertschätzung und nach (eigener) emotionaler Authentizität somit ein Stück weit erfüllt werden, sofern die Führungskraft hierzu in der Lage ist. Welche Führungsstile und -weisen dafür erforderlich sind, wird im nachfolgenden Kapitel ausgeführt.
4. Geeignete Führungsstile und -weisen für den Umgang mit Emotionsarbeitern
Selbst wenn die Arbeit mit dem Ziel der Motivationsstärkung bedürfnisbezogen ausgestaltet wird – zum Beispiel über eine hohe Aufgabenvielfalt, eine Ganzheitlichkeit der Aufgaben, einen hohen Bedeutungsgehalt, Handlungsautonomie und viel Rückkopplung – (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 343 f.), so bleibt dadurch die Frage nach dem richtigen Führungsumgang mit Emotionsarbeitern unbeantwortet. Fischbach (2018, S. 44) konstatiert, dass Führung in der Emotionsarbeit nur eine entfernte Kontrolle auf die Kontaktarbeit ihrer Mitarbeitenden ausübt. Aus systemischer Sicht können Führungskräfte ohnehin keinen direkten steuernden Einfluss auf ihre Mitarbeitenden ausüben (vgl. von Au, 2017, S. 9). Wohl aber kann die Führungskraft durch ihr Führungshandeln und Verhalten die Belastungen ihrer Mitarbeitenden verringern, die aufgrund der Emotionsarbeit entstehen.
Das Ziel für Führungskräfte besteht aber darüber hinaus darin, die Resilienz der Emotionsarbeiter zu stärken und die (vor allem gesundheitlichen) Risiken zu minimieren, die sich aus der Emotionsarbeit ergeben. Resilienz ist mehr als psychische Widerstandsfähigkeit, sondern ganzheitliche Gesundheit und beinhaltet biopsycho-soziale und spirituelle Resilienz, weshalb eine resiliente Führung den Menschen ganzheitlich betrachtet und all diese Aspekte beim Führungshandeln berücksichtigt (vgl. Roth, 2021, S. 12).
Haubl (2012, S. 371 f.) und an anderer Stelle Heltzel (2021, S. 287) verweisen darauf, dass Führungskräfte ihren Führungsstil in Abhängigkeit von dem Erfordernis der Situation variabel, das heißt kontextgebunden und ‚mehrsprachig‘ gestalten sollten. Vor dem Hintergrund der Frage nach der ‚richtigen‘ Führung von Emotionsarbeitern bedeutet dies, dass diese Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann. „Je nach gegebener Situation, je nach Aufgabenstellung, je nach Prozessentwicklung, je nach Team, je nach Kompetenz der Mitarbeiter, je nach deren Reife und Selbstständigkeit usw. kann die Führungskraft dann eher kooperativ, eher unter Einsatz von Autorität, eher symbolisch führen“ (Heltzel, 2021, S. 288).
Eine solche Flexibilität kann am ehesten durch die Anwendung des transformationalen Führungsverhaltens erreicht werden, denn diese Führungsform fokussiert auf die Motivation der Mitarbeitenden. Konkret besteht das Ziel darin, dass Mitarbeiter sich über ihre unmittelbaren selbstdienlichen Ziele hinaus – aber nach wie vor auf der Basis ihrer eigenen Ideale, Moral und Motivation – die visionären Unternehmensziele zu eigen machen (Schreyögg & Koch, 2015, S. 421; Stadelmaier, 2008, S. 438). Vier Dimensionen des transformationalen Führungsverhaltens werden unterschieden:
- Führungskraft als Rollenmodell, zum Beispiel im Hinblick auf die Arbeitsleistung und moralische Standards: Führungskräfte beweisen ihre persönliche Integrität, Kompetenz und Bereitschaft, persönliche Risiken zum Erreichen der Unternehmensziele auf sich zu nehmen, und verdienen sich dadurch den Respekt und die Bewunderung ihrer Mitarbeitenden
- Ausstrahlung von Optimismus und Ermutigung, dass Mitarbeitende an den Erfolg ihrer Bemühungen glauben: Indem Führungskräfte mithilfe einer symbolischen Sprache Zukunftsvisionen entwerfen, werden höhere Motive angesprochen
- Suche nach neuen Wegen der Problemlösung: Die Führungskraft präsentiert neue Ideen und verdeutlicht den Mitarbeitenden, bisherige Routinen und Annahmen infrage zu stellen, wodurch ihre Kreativität und Flexibilität gefördert werden
- Entfaltung des individuellen Potenzials der Mitarbeiter: Die Führungskraft widmet sich ihren Mitarbeitenden, indem sie als Individuen betrachtet und unterstützt sowie ermutigt werden. Die Führungskraft wird somit zum Coach und Mentor (vgl. Stadelmaier, 2008, S. 438 f.)
Um die spezifischen Bedürfnisse von Emotionsarbeitern zu erfüllen, sollten Führungskräfte daher als gutes Beispiel vorangehen. Um aber als Rollenmodell wahrgenommen zu werden, braucht es Ehrlichkeit und Offenheit, weil diese die Voraussetzung für eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden sind (vgl. Lüneburg, 2019, S. 119). Dies bedeutet, dass mit den Mitarbeitenden offen und ehrlich über die Herausforderungen der Emotionsarbeit in der Pflege bzw. in der Sozialen Arbeit gesprochen werden muss. Führungskräfte sollten hierzu ihre eigenen kritischen Erfahrungen einbringen. Würde dagegen die Führungskraft selber in der Führungsbeziehung zu den Mitarbeitenden überwiegend die Technik des ‚surface acting‘ anwenden, so könnte es passieren, dass diese dieses Verhalten als unauthentisch wahrnehmen (da sie es ja gewohnt sind, in ihrem Berufsalltag Gefühlsarbeit zu leisten).
Wie bereits erwähnt wurde, ist die Emotionsarbeit ein fester Bestandteil sozialer Dienstleistungen und kann deshalb nicht von ihr entkoppelt werden. Der transformationale Führungsstil kann dazu genutzt werden, um „die Einstellungen, die Wünsche und die Vorstellungen der Geführten“ (Schreyögg & Koch, 2015, S. 421) zu beeinflussen, das heißt, es lässt sich den Mitarbeitern damit die Notwendigkeit der Emotionsarbeit aufzeigen. Aufgabe der Führungskräfte ist es dann, ihren Mitarbeitenden zu verdeutlichen, dass ihre täglich zu leistende Emotionsarbeit einem höheren Zweck dient, wodurch gleichzeitig eine alternative, neue Sichtweise auf bisherige Annahmen eingenommen wird. Zum Beispiel werden die Erziehung und Förderung von Kindern und Jugendlichen als ‚Entwicklungsförderung und Stärkung ihrer psychosozialen Gesundheit‘ sowie als ‚Sicherstellung der zukünftigen (wirtschaftlichen) Leistungsfähigkeit‘ und somit als ‚unverzichtbarer Dienst an der Gemeinschaft‘ bezeichnet.
Mithilfe dieser symbolischen Sprache – zu achten ist darauf, dass es nicht zu pathetisch wirkt – wird also ein visionäres Ziel geschaffen, das sowohl von den Mitarbeitenden als auch von der Führungskraft als auch vom Unternehmen als Ganzes als erstrebenswert eingeschätzt und dementsprechend verfolgt wird. Indem Mitarbeitende das Übel der Emotionsarbeit als Dienst für eine größere Sache sehen, wird dieses Übel möglicherweise erträglicher.
Vielleicht hilft es ihnen auch dabei, anstelle des ‚surface acting‘ oder ‚deep acting‘ gezielt den empathischen Kurzschluss anzuwenden. Hierbei werden die eigenen Gefühle als Reaktion auf die Emotion des Gegenübers kontrolliert verändert, indem sie mit Verspätung uminterpretiert werden (vgl. Altmann, 2015, S. 30 f.). Zudem kann der Verweis auf das visionäre Ziel dabei helfen, die Emotionsarbeit im Sinne der ‚antecedent-focused regulation‘ zu gestalten, das heißt, Emotionsarbeiter berücksichtigen bei ihrer eigenen emotionalen Beurteilung der auf sie eingehenden Reize die Kontextbedingungen (vgl. Altmann, 2015, S. 31). Die scheinbare Böswilligkeit des grantigen Alten aus Zimmer 105 wird so unter besonderer Berücksichtigung der Psychodynamik vor dem Hintergrund zum Beispiel seiner Lebensgeschichte, dem kürzlichen Tod seiner Ehefrau, der Entfremdung von den Verwandten usw. interpretiert. Zwar muss die Pflegekraft nach wie vor in der Interaktion mit dem Patienten Emotionsarbeit leisten, aber sie tut dies zum einen im Hinblick auf das visionäre Ziel des Unternehmens – ‚jedem Menschen ein schönes Lebensende bereiten‘, den pflegebedürftigen Menschen auch im Alter psychosozial zu unterstützen‘ usw. – und zum anderen tut sie dies im Wissen darüber, warum der Patient sich so negativ emotional verhält.
All dies geschieht ohne direkte Einwirkung der Führungskraft. Unverkennbar wird aber deutlich, dass dies ohne die transformationale Formulierung eines visionären Ziels einschließlich der Anpassung der Wünsche und Vorstellungen der Mitarbeiter nur schwer gelingt. Ein solches Vorgehen stärkt letztlich die Resilienz der Mitarbeitenden, weil sie zwar robuster werden gegenüber den schädlichen Auswirkungen der Emotionsarbeit, allerdings ohne emotional abzustumpfen oder in eine Art emotionale Blasiertheit zu verfallen. Letztlich ist das gerade im sozialen Dienstleistungsbereich ein Problem.
Es geht also bei der Frage nach geeigneten Führungsstilen und -weisen nicht nur darum, Mitarbeiter so zu führen, dass sie die Belastungen der Emotionsarbeit besser aushalten können, sondern die beruflich notwendige Emotionsarbeit kann genutzt werden, um sich selber besser zu verstehen (Psychodynamik) und um das berufliche Ziel effektiver zu erreichen. Von besonderer Bedeutung ist daher die stärkere Berücksichtigung der Individualität der Mitarbeitenden. Zwar kann vor dem Hintergrund der Erkenntnisse in Kapitel 2 von einer gewissen Ähnlichkeit der Bedürfnisse der Emotionsarbeiter im sozialen Dienstleistungsbereich ausgegangen werden, doch um eine zielgenaue Unterstützung zu gewährleisten, braucht es die individuelle Beziehung zum Mitarbeiter.
Im Rahmen einer solchen wechselseitigen Vertrauensbeziehung können Führungskräfte ihre Emotionsarbeiter unterstützen, indem sie sich ihnen als ‚Container‘ im Sinne des Container-Contained zur Verfügung stellen. Das heißt, sie fungieren als gutes Objekt, das von den Emotionsarbeitern dahin gehend benutzt werden kann, indem schwer verständliche und schwer zu ertragende Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse, welche im Rahmen der Emotionsarbeit entstehen, der Führungskraft in ihrer Rolle als Container aufgebürdet werden. Sie reflektiert über die ihr zugetragenen Inhalte, indem sie sie stellvertretend verarbeitet und ihre Eindrücke bzw. Interpretationen äußert (vgl. Haubl, 2011, S. 206).
Im Rahmen des Container-Contained können Führungskräfte das in Kapitel 2 erläuterte Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Authentizität erfüllen. Führungskräfte können in ihrer Funktion als Container-Contained sowohl psychodynamische als auch systemische Reflexionen anbieten, um den Mitarbeitenden den Umgang mit der Emotionsarbeit zu erleichtern. Zu achten ist darauf, dies nicht im belehrenden Sinne zu tun, sondern auf Augenhöhe, um einerseits das Vertrauen nicht zu verlieren und um andererseits die Resilienz der Emotionsarbeiter langfristig und Schritt für Schritt aufzubauen.
5. Fazit
In dieser Arbeit wurde danach gefragt, wie Emotionsarbeiter im Bereich der sozialen Dienstleistungen am besten geführt werden können. Es wurde herausgearbeitet, dass Emotionsarbeiter ein Bedürfnis nach emotionaler Authentizität haben, das von Führungskräften im Rahmen transformationaler Führung grundsätzlich erfüllt werden kann, wobei hier zusätzlich eine resilienzstärkende Funktion besteht, weil Mitarbeiter resistenter werden gegenüber den schädlichen Auswirkungen der Emotionsarbeit. Darüber hinaus können Führungskräfte ihren Emotionsarbeitern durch das Container-Contained eine ‚emotionale Abladefläche‘ bieten, die überdies das Reflexionsvermögen stärkt.
Zudem gibt es weitere Möglichkeiten für Führungskräfte, um Emotionsarbeiter zu unterstützen. Zu nennen sind hier Angebote der Selbsterfahrung und Supervision, sowohl Einzeln als auch in Gruppen, um einen Raum der authentischen Begegnung mit den eigenen Emotionen zu schaffen – gewissermaßen als Ausgleich zu ihrer teilweisen Verleugnung bzw. Unterdrückung im Rahmen ihrer sozialarbeiterischen oder pflegerischen Dienstleistungstätigkeit. Heltzel (2021, S. 38) zufolge entstehen dabei Räume, in denen gemeinsam reflektiert wird und die die beschriebene Funktion des Containment für die Belastungen, Verunsicherungen und Überforderungen der alltäglichen Arbeit erfüllen.
„Das Containment, das Gruppen dieser Art bieten, ist spezifisch und übersteigt das Potenzial an Unterstützung in Einzelberatungen bei Weitem“ (Heltzel, 2021, S. 52). Aufgabe der Führungskraft ist es, ihren Emotionsarbeitern dabei zu helfen, solche Orte der Reflexion aufzusuchen. Im Rahmen des transformationalen Führungsstils kann sie offen und ehrlich die Probleme ansprechen, die sich aus der Emotionsarbeit ergeben. Basierend auf dieser Problemdarstellung können gemeinsam neue Zukunftsvisionen formuliert werden, um den positiven Nutzen der Emotionsarbeit herauszustellen. Beispielsweise: Freundlichkeit in der Altenpflege hilft dabei, eine bessere Pflegedienstleistung zu erbringen – und das ist schließlich unser aller Ziel.
Damit dies nicht auf Kosten der Gesundheit der Mitarbeiter geschieht, werden Mitarbeiter resilienter gemacht, das heißt, sie werden zum Beispiel durch das
Erlernen des emotionalen Kurzschlusses oder der ‚antecedent-focused emotion regulation‘ widerstandsfähiger gegenüber den negativen Auswirkungen der Emotionsarbeit. Solche Maßnahmen sind somit aus psychodynamischer Perspektive und vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse gut geeignet, um die Genese der eigenen negativen Emotionen zu ergründen. Denn wenn ich weiß, warum ich als Erzieher das vierjährige Kind so ungern tadele – vielleicht, weil dies an die eigene unglückliche Kindheit erinnert –, obwohl es für den Erziehungsprozess wichtig ist, dann wird die Emotionsarbeit vielleicht als weniger belastend empfunden.
Deutlich wird somit, dass vor allem psychodynamische, aber auch systemische Kenntnisse für Führungskräfte unerlässlich sind, um mit den Herausforderungen der Emotionsarbeit produktiv und gewinnbringend für die betroffenen Fachkräfte umzugehen.
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