Was ist gute Führung? Eine psychodynamische und systemische Perspektive?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Führungsverständnis aus systemischer und psychodynamischer Perspektive
- Bedarfe der Mitarbeitenden
- Gutes Führen bedeutet Beziehungsarbeit
- Fazit
1. Einleitung
Gut geführt zu werden ist der Wunsch vieler Mitarbeitenden und zwingend notwendig für den Fortbestand des Unternehmens (vgl. Heltzel, 2021, S. 281). Weil immer mehr Menschen in ihrer und durch ihre Arbeit Bedürfnisbefriedigung erlangen wollen, entstehen bestimmte Erwartungen, die es seitens des Unternehmens bzw. der Führungskräfte zu erfüllen gilt (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 236). Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass es angesichts der Vielzahl an Führungstheorien zunehmend schwieriger wird, gut zu führen (vgl. Malik, 2019, S. 141–143). Laut Schreyögg und Koch (2015, S. 418–419) unterschätzen Führungsstilkonzepte, die in jeder Situation ein gleichbleibendes Führungshandeln unterstellen, die Komplexität sowohl des Führungsverhaltens sowie der Bedürfnisse der Mitarbeitenden.
Denn das menschliche Verhalten wird sowohl von unbewussten als auch von bewussten Prozessen geprägt (vgl. Lohmer, 2006, S. 21). Hinzu kommt, dass eine maschinenähnliche Steuerung oder direkte Beeinflussung von Menschen nicht möglich ist (vgl. Feldbrügge, 2021, S. 41 ff.; Pfister, 2019, S. 14). Insofern stellt sich die Frage, was es angesichts dieser Einschränkungen und Besonderheiten bedeutet, gut zu führen. Folgende Fragestellung wird daher in dieser Arbeit untersucht:
Was bedeutet gute Führung aus psychodynamischer und systemischer Perspektive?
Zu ihrer Beantwortung wird im nachfolgenden Kapitel 2 unter besonderer Berücksichtigung der systemischen und psychodynamischen Perspektive Führung definiert. Im Anschluss daran werden in Kapitel 3 die Bedürfnisse der Mitarbeitenden thematisiert. In Kapitel 4 wird darauf aufbauend diskutiert, dass gutes Führen im Wesentlichen Beziehungsarbeit bedeutet. Kapitel 5 schließt die Arbeit mit einem Fazit.
2. Führungsverständnis aus systemischer und psychodynamischer Perspektive
In der Managementliteratur wird Führung gemeinhin als Planung, Koordination und Kontrolle von Individuen und Gruppen in Organisationen verstanden (vgl. Helmold, 2022, S. 1). Eine Organisation zu gestalten und zu lenken ist dieser Lesart zufolge eine Kernaufgabe der Führung (vgl. Becker, 2015, S. 6; Schreyögg & Koch, 2015, S. 7 f.). Von Rosenstiel (2014, S. 3) und an anderer Stelle Becker (2015, S. 8) verstehen daher unter Führung eine auf ein Ziel bezogene Einflussnahme, sodass die Geführten dazu gebracht werden, bestimmte Ziele zu erreichen. Die Herausforderung besteht indes darin, zu definieren, wann ein Führungserfolg vorliegt und wann nicht (vgl. von Rosenstiel, 2014, S. 5).
Von Au (2017) stellt indes mit einer gewissen Ironie fest: „Ein Unternehmensleiter, der glaubt, ein Unternehmen leiten zu können, der meint auch, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet“ (S. 9: Hervorhebung entfernt). Infolgedessen wird Führung aus der psychodynamischen und systemischen Perspektive lediglich im strukturell-funktionalen Verständnis als Besetzung einer leitenden Stelle in einer Organisation nebst Vorhandensein von Weisungsbefugnissen gegenüber (einer Gruppe von Mitarbeitenden) definiert (vgl. Haubl, 2012, S. 367).
Psychodynamik bedeutet heutzutage, dass die Interaktionen und die Kommunikation sowie das intersubjektive Feld zwischen den Beteiligten in den Blick genommen werden, wobei unbewusst ablaufende Prozesse – hier wird der Ursprung der Psychoanalyse unverkennbar – in besonderer Weise berücksichtigt werden (vgl. Heltzel, 2021, S. 32; Lewkovicz & Neukorn, 2019, S. 14). Denn die überwiegend in der Betriebswirtschaftslehre beheimatete Managementliteratur übersieht, „dass Organisationen von Menschen gemacht und unterhalten werden“ (Lewkovicz & Neukorn, 2019, S. 14). Daher muss der menschliche Aspekt stärker berücksichtigt werden.
Die Problematik besteht hierbei darin, dass sich gängige organisationspsychologische Ansätze auf die Analyse von bewussten Prozessen beschränken (Lohmer, 2006, S. 21). Doch das menschliche Verhalten besteht aus der Addition von unbewussten und bewussten Motivationen, was dazu führt, dass im Umgang mit unangenehmen oder unannehmbaren Impulsen eine Vielzahl an Abwehrmechanismen genutzt wird (vgl. Lewkovicz & Neukorn, 2019, S. 14; Spears & Tausch, 2014, S. 512). Je konfliktbelasteter bestimmte Vorgänge, Themen, historische Ereignisse und geheime Regeln sind, desto stärker werden sie von den Organisationsmitgliedern tabuisiert und dringen in der Folge nicht in ihr Alltagsbewusstsein ein (vgl. Lohmer, 2006, S. 21).
Als Beispiel für diese „irrationale[n] Prozesse“ (Lohmer, 2006, S. 21; Hervorhebung entfernt) nennen Spears und Tausch (2014, S. 512) die unbewusst stattfindende Verschiebung von negativen Impulsen und Gefühlen von einem mächtigen Objekt (der Vorgesetzte) zu einem weniger mächtigen oder bedrohlichen Objekt (das Haustier), was sich verhaltensmäßig dahingehend äußert, dass das Tier geschlagen wird, obwohl ein Ärgernis über den Chef besteht. Daran wird deutlich, dass wechselhafte und emotionale Motive, die sich zudem im Zeitverlauf verstärken oder abschwächen, das Verhalten der Mitarbeitenden und Teams sowie die Beziehungen untereinander bestimmen (vgl. Lewkovicz & Neukorn, 2019, S. 62).
Die Problematik beginnt dann, wenn sich diese Strukturen und Regeln auf Bereiche ausdehnen, die ein Erfüllen der primären Arbeitsaufgaben behindern (vgl. Lewkovicz & Neukorn, 2019, S. 62). So kann ein anfänglicher Groll unter Kolleginnen in Mobbing enden, wodurch zum Beispiel Teambildungen verunmöglicht werden.
Hinzu kommt, dass gemäß dem Konstruktivismus die Wahrnehmung von Menschen selektiv, interpretierend und wertend ist, das heißt, es wird vom Individuum immer nur ein Ausschnitt der Realität erfasst und das Erinnern ist anfällig für Störungen (vgl. Pfister, 2019, S. 14; Webers, 2020, S. 35). Für die Führungskraft folgt daraus die Aufgabe, zunächst die eigene Realität bewusst zu steuern, wohingegen die Steuerung von anderen Individuen (zum Beispiel den Mitarbeitenden) nicht möglich ist (vgl. Pfister, 2019, S. 14).
Eine Führungskraft kann daher aus systemischer Perspektive nur beobachten – das heißt in Unternehmen die Arbeitsweise –, aber sie kann Menschen weder direkt beeinflussen noch steuern, sondern lediglich die (Rahmen-)Bedingungen schaffen und verändern, sodass Mitarbeitende und/oder Teams ihre Arbeit bestmöglich selbst organisieren und ihre Bedürfnisse befriedigt werden (vgl. Feldbrügge, 2021, S. 41 ff.; Pfister, 2019, S. 14). Ziel des Führungshandelns ist es also, dafür zu sorgen, dass „die Eigendynamik des Systems konstruktiv wirken kann“ (Jörg & Steiger, 2019, S. 56).
Die systemische Perspektive betrachtet Organisationen als soziale Systeme, die einem speziellen Zweck dienlich sind und sich dafür formell zusammenschließen (vgl. Feldbrügge, 2021, S. 24). Menschen handeln in einer Vielzahl an verschiedenen sozialen Systemen – die Familie oder das Unternehmen sind nur zwei prominente Beispiele –, was in Form eines Impulses erfolgt, sodass dies auch in Bezug auf die anderen Menschen in dem betreffenden System eine Reaktion erzeugt, woraus komplexe Wechselwirkungen zwischen allen Menschen in einem System entstehen (vgl. Lüneburg, 2019, S. 67): Wenn Herr Maier seinen Ausweis verliert, so helfen ihm seine Kolleginnen beim Suchen, es wird in der zuständigen Abteilung ein neuer Ausweis beantragt usw.
Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass es Führungskräfte in Organisationen mit dynamischen Prozessen zu tun haben, dass es Rückkoppelungen und Feldabhängigkeiten gibt, dass Organisationen von Emergenz und Selbstorganisation gekennzeichnet sind (es gibt keine lineare Entwicklung: Veränderungen können zu Chaos oder zu Ordnung führen) und dass zwischen dem System ‚Organisation‘ und seiner Umwelt (das heißt alles, was nicht die Organisation ist: Zulieferer, Speditionen, die Industrie- und Handelskammer, das Finanzamt, die Post usw.) Wechselwirkungen bestehen in Form von Anpassungen oder sogar einer direkten Angleichung bzw. Einverleibung zum Beispiel mit konkurrierenden Unternehmen (vgl. Webers, 2020, S. 33 f.). Systemisch zu führen bedeutet daher, die Organisation als Ganzes zu betrachten, wobei der Führung zur Stabilisierung und Anpassung der Organisation eine wichtige Funktion zukommt (vgl. Pfister & Neumann, 2019, S. 55).
3 Bedarfe der Mitarbeitenden
Im vergangenen Kapitel wurde ausgeführt, dass unbewusste Prozesse einen wesentlichen Einfluss auf die Beziehungen der Personen in einer Organisation und somit letztlich auf die Arbeitsleistung und -produktivität ausüben. Dass den Mitarbeitenden eine wichtige Rolle zukommt bei der Frage danach, was eine gute Führung ausmacht, wurde bereits in der Einleitung begründet.
Aus der systemisch-psychodynamischen Perspektive wird der einzelne Mitarbeitende als Ganzes betrachtet, das heißt, dessen Umfeld und individuellen Bedürfnisse, die in enger Verknüpfung mit den emotionalen Strukturen stehen, werden gleichsam miteinbezogen (vgl. Sauter et al., 2018, S. 166). Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden unterscheiden sich im Detail (vgl. Loffing & Loffing, 2010, S. 157), weshalb es sinnvoll ist, Bedürfnisse auszudifferenzieren.
Zu den Grundbedürfnissen gehören:
- Existenzsicherung (Überleben),
- Individualität und Integrität (Kreativität, Selbstwahrnehmung, Authentizität, Lernfähigkeit),
- seelische Geborgenheit und Sicherheit (Bindung, Empathie, Aufmerksamkeit),
- Autonomie (Selbstbestimmung, Freiheit),
- Feiern und Spielen (Rituale, Geburtstage) sowie
- die spirituelle Verbundenheit und Integrität (vgl. Lüneburg, 2019, S. 15 f.).
Die Bedürfnispyramide von Maslow geht von einer Hierarchie der Bedürfnisse aus, das heißt, es müssen zunächst nacheinander die physiologischen, danach die sicherheitsbezogenen und im Anschluss daran die sozialen Bedürfnisse befriedigt werden und erst im Falle ihrer jeweiligen Sättigung kann die nächste Stufe erreicht werden. Diese einzelnen Defizitbedürfnisse sind für Individuen handlungsmotivierend, wohingegen die Spitze der Bedürfnispyramide – die bereits erwähnte Selbstverwirklichung – ein Wachstumsbedürfnis darstellt, weil es nie gesättigt und somit nie abschließend befriedigt werden kann (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 334 f.).
Auch Erwartungen spielen eine wichtige Rolle, da sie mit einer gewissen Sicherheit einhergehen: Die Erwartung, am Monatsende das Gehalt überwiesen zu bekommen, bewirkt ein enormes Sicherheitsgefühl. Zudem gilt gemäß der Kumulationstheorie, dass sich die Motivationsbasis mit der Zunahme der Bedürfnisbefriedigung verbreitert, das heißt, je mehr Bedürfnisse aus der Bedürfnispyramide gesättigt werden, umso größer ist die Motivation (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 336 f.).
Daraus folgt, „dass eine gute Kantine nicht ausreichen würde, um die Bedürfnisse von Mitarbeitenden zu erfüllen und sie so an das Unternehmen zu binden. Es trägt möglicherweise dazu bei, ist jedoch keine Motivation wie Freiräume bei der Arbeit oder Anerkennung und Wertschätzung“ (Lüneburg, 2019, S. 25). Denn im Zentrum stehen die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung in der und durch die Arbeit, weshalb die Arbeitsfreude zu einem zentralen Bedürfnis wird (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 326). Wenn also die Erwartung der Mitarbeitenden, von ihren Vorgesetzten Unterstützung zu erhalten, enttäuscht wird, so verringert dies ihre Arbeitszufriedenheit und senkt sukzessive ihre Leistungsbereitschaft (vgl. Haubl, 2012, S. 373).
4. Gutes Führen bedeutet Beziehungsarbeit
Zu den höchsten Anforderungen an Führungskräfte gehört es laut Schiefer und Nitsche (2019, S. 13), Mitarbeitende zu befähigen und zu begleiten sowie sie an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dies bedeutet, dass Führungskräfte in der Lage sein müssen, den Handlungsspielraum ihrer Mitarbeitenden zu erweitern, ihnen Verantwortung zu übertragen und ihre Weiterentwicklung zu fördern (vgl. Schiefer & Nitsche, 2019, S. 13). Gemäß der in Kapitel 2 beschriebenen systemischen Herangehensweise sind Führungskräfte also aufgefordert, die Rahmenbedingungen zu verändern, damit dies gelingt. Denn die genannten Anforderungen zielen darauf ab, das gemäß der Maslow-Pyramide höchste Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zu befriedigen.
Dass es nicht ausreichend ist, dies über extrinsische Motivationsfaktoren wie eine gute Kantine zu erreichen, wurde bereits erwähnt. Ohnehin sind extrinsische Motivationsfaktoren – externe Anreize, ohne dass ein davon unabhängiges Interesse an der Arbeitsaufgabe besteht (vgl. Schreyögg & Koch, 2015, S. 340 f.) – nicht dazu geeignet, das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Selbstverwirklichung langfristig zu befriedigen.
Vielmehr braucht es eine bedürfnisorientierte Arbeitsgestaltung, was im Kern einen möglichst großen Handlungsspielraum bedeutet (vgl. Schreyögg, 2015, S. 344). Doch dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hierbei Führung notwendig ist, was zum Beispiel in den Ausführungen von Schreyögg und Koch (2015, S. 344 ff.) außen vor gelassen wird, weil vorrangig die Organisation der Arbeitsaufgaben behandelt wird, nicht aber die Rolle der Führungskraft veranschaulicht wird.
Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen, dass Führungshandeln ganzheitlich stattfindet, dass unbewusste Prozesse besonders zu beachten sind und dass Bedürfnisse sowohl individuell als auch in gewisser Weise generalisierbar sind, erweist es sich als wenig hilfreich, gute Führung auf einen bestimmten Führungsstil zu beschränken. Um vor allem die psychodynamische Dynamik hinreichend zu berücksichtigen, sollten Führungskräfte dagegen stärker auf der Beziehungsebene agieren.
„Führung durch Beziehung“ (Heltzel, 2021, S. 281; Hervorhebung entfernt) berücksichtigt die psychodynamischen Prozesse und bewirkt erwiesenermaßen eine Steigerung der Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden (vgl. Heltzel, 2021, S. 288; Lüneburg, 2019, S. 47). Wer sich bei der Arbeit wohlfühlt und sich unterstützt fühlt, ist zudem eher bereit, andere Einschränkungen oder Kleinigkeiten zu akzeptieren (vgl. Heltzel, 2021, S. 288). Eine vertrauensvolle Beziehung berücksichtigt die Beziehungsbedürfnisse „Kontakte, Achtung, Respekt, Wertschätzung“ (Lippold, 2019, S. 23; vgl. Unkrig, 2020, S. 255), die Lippold (2019, S. 22–23) zufolge Bestandteil der im vergangenen Kapitel beschriebenen Bedürfnispyramide von Maslow sind. Mitarbeitende stellen daher an ihre Vorgesetzten (unbewusst) die Erwartung, von ihnen Unterstützung zu erhalten, was im Falle der ‚Nichterbringung‘ nicht nur zu Enttäuschung, sondern zu einer verringerten Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft führt (vgl. Haubl, 2012, S. 373). Ein weiterer Vorteil einer freundschaftlichen und unterstützenden Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften besteht darin, dass sie sich auf die gefühlsmäßige Bindung der Mitarbeitenden zum Unternehmen auswirkt (Nogga & Rowold, 2022, S. 29).
Bestandteil der Beziehungsarbeit ist es, dass Führungskräfte von sich aus ihre Unterstützung anbieten und ihren Mitarbeitenden signalisieren, jederzeit ihren Unterstützungsbedarf anzuzeigen (vgl. Haubl, 2012, S. 373). Damit dies aber von den Mitarbeitenden auch so empfunden wird, ist es wichtig, sich als Führungskraft geduldig zu zeigen und zuzuhören, weil anders keine Vertrauensbildung möglich ist (vgl. Malik, 2019, S. 140). Eine gute Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft impliziert nämlich ein vertrauensvolles Verhältnis, was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, von den Mitarbeitenden die notwendigen Informationen zu erhalten, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können (vgl. Haubl., 2012, S. 373; Malik, 2019, S. 139–140). Nur dann können „echte Beziehungen“ (Lüneburg, 2019, S. 120) entstehen. Vertrauen gehört laut Malik (2019, S. 138–139) zu den Grundsätzen einer wirksamen Führung.
Haubl (2011, S. 206) führt aus, dass eine wechselseitige Vertrauensbeziehung auch im Hinblick auf die Funktion der Führungskraft als Container-Contained zwingend notwendig ist. In dieser Betrachtung sind Führungskräfte gute Objekte, die ihre Mitarbeitenden dazu einladen, benutzt zu werden, um die bei der Erledigung der primären Arbeitsaufgaben auftretenden, kaum ertragbaren und schwer zu verstehenden Gefühle, Handlungsimpulse und Gedanken aufgebürdet zu bekommen. Damit dies gelingt, müssen Führungskräfte diese „Projektionen und projektiven Identifizierungen“ (Haubl, 2011, S. 206) dauerhaft auf- und annehmen und schließlich das verbalisieren, was sie davon im Zuge der stellvertretenden psychischen Be- und Verarbeitung verstanden haben (vgl. Haubl., 2011, S. 206). Gelingt dies, so können „sie Halt, Zuversicht, Orientierung und Beruhigung in Zeiten der Verunsicherung und der erlebten Bedrohung vermitteln“ (Heltzel, 2021, S. 296).
Auf diese Weise werden die tiefsitzenden und somit häufig nur auf unbewusster Ebene existierenden Affekte, Ängste, Irritationen, Verunsicherungen und Befürchtungen der Mitarbeitenden von den Führungskräften stellvertretend aufgenommen und so verarbeitet, dass Mitarbeitende (wieder) ihre Aufgaben erfüllen können (vgl. Heltzel, 2021, S. 296). Dies ist eine sehr herausfordernde Aufgabe, denn die aufgebürdeten Inhalte sind erstens rätselhafte Botschaften, weil Mitarbeitende es nicht wagen, ihre Gefühle, Gedanken und Handlungswünsche offen auszusprechen (vgl. Haubl, 2011, S. 206). Damit Führungskräfte dies leisten können, müssen sie zweitens von den Äußerungen ihrer Mitarbeitenden zwar emotional berührt werden, sie dürfen sich davon aber nicht vollständig ergreifen und bestimmen lassen (vgl. Heltzel, 2021, S. 296). Deshalb müssen Führungskräfte dazu in der Lage sein, Emotionsarbeit zu leisten, das heißt in unüberschaubaren und komplexen sowie nur begrenzt zu kontrollierenden Konstellationen situationsangemessen ihre Handlungsfähigkeit beibehalten (vgl. Heltzel, 2021, S. 296).
Doch nur wenn Mitarbeitende ihrer Führungskraft vertrauen, sind sie dazu bereit, die Reflexion der Führungskraft anzunehmen, um dadurch den Prozess ihrer Selbstverständigung anzureichern. Schließlich erfolgt dadurch eine emotionale und deutende Regulation ihrer Innenwelt und dies lassen Mitarbeitende nur dann zu, wenn sie sicher sein können, dass Führungskräfte das Containment nicht missbrauchen, sondern tatsächlich ausschließlich nutzen, damit Mitarbeitende ihr Arbeitsvermögen verbessern können (vgl. Haubl, 2011, S. 206). Charakterliche Integrität ist daher eine zentrale Eigenschaft einer Führung durch Beziehung (vgl. Heltzel, 2021, S. 288; Malik, 2019, S. 144).
Außerdem benötigen Führungskräfte eine hohes Kommunikationsvermögen, weil sie ansonsten weder ihre Reflexionen angemessen verbalisieren noch ihren Unterstützungsbedarf anzeigen können (vgl. Heltzel, 2021, S. 296). Wichtig hierbei ist eine sinnvolle, zielorientierte, klare und empathische Kommunikation, was weniger durch Instrumente und Techniken geleistet werden kann, sondern vielmehr durch die Anerkennung der eigenen Person (vgl. Lüneburg, 2019, S. 103). Diese Anerkennung ermöglicht es der Führungskraft, die eigene Autonomie zu bewahren und sich von anderen Personen im Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Lüneburg, 2019, S. 103).
Die Herausforderung bei der Kommunikation besteht laut Jonassen et al. (2019, S. 331) darin, dass jedes Verhalten kommunikativ gefärbt ist. Auch zu schweigen bedeutet daher Kommunikation, hinzu kommt, dass der Anteil der nonverbalen Kommunikation etwas mehr als die Hälfte der menschlichen Kommunikation ausmacht (vgl. Jonassen et al., 2019, S. 333). Die Herausforderung besteht nun darin, dass die Kommunikation – ebenso wenig wie Menschen – gesteuert werden kann, weil Kommunikation von einer Vielzahl an Bedeutungen begleitet wird und sich sozusagen spontan bildet, sobald mindestens zwei Personen zusammentreffen. Für Führungskräfte folgt daraus, dass sie die Voraussetzungen und Randbedingungen schaffen müssen, damit Kommunikation gelingt. Dies kann durch Authentizität und Echtheit erreicht werden, wohingegen Imitationen oder gar Manipulationen Verstimmungen erzeugen (vgl. Jonassen et al., 2019, S. 337).
Bestandteil der Führung durch Beziehung ist, dass Führungskräfte Teams so miteinander vernetzen, dass ein tragfähiger Gemeinsinn besteht. Für diese Brückenbildung müssen kommunikative Beziehungen hergestellt werden, was aber – wie soeben ausgeführt – nicht gesteuert und somit auch nicht erzwungen werden kann. Deshalb müssen Führungskräfte es schaffen, die einzelnen Teammitglieder so anzusprechen, dass diese sich eigenständig vernetzen wollen. Dies darf indes nicht fälschlicherweise mit Gruppendenken verwechselt werden, weil dies kaum zu produktiven Spannungen führt. Stattdessen müssen gleichermaßen heterogene und konfliktfähige Mitarbeitende zusammengespannt werden, um dadurch eine Kreativitäts- und Produktivitätssteigerung zu erreichen (vgl. Haubl, 2012, S. 374).
Beziehungsorientiert zu führen geht außerdem von der Prämisse aus, dass zeitgemäßes Führen mehrdimensional abläuft, das heißt, in Abhängigkeit von der Situation und dem Kontext müssen Führungskräfte in der Lage sein, variabel zu führen (vgl. Heltzel, 2021, S. 287). Patentrezepte für Führung gibt es nicht (vgl. Unkrig, 2020, S. 219). „Gute Führungskräfte verzichten darauf, ihren Mitarbeitern ein X für ein U vorzumachen“ (Malik, 2019, S. 140). Entgegen der Mehrheitsmeinung ist Malik (2019, S. 141–142) davon überzeugt, dass der Führungsstil nicht wichtig ist, weil diese lediglich in Experimentalstudien erforscht werden und in praxisfernen Rollenspielen und Übungssequenzen eingeübt werden. Wirksames und richtiges Führen ist somit nicht abhängig vom Führungsstil, sondern Führungskräfte benötigen vielmehr elementare Manieren im Sinne von Anstand, um die Zusammenarbeit und das Zusammenleben zu erleichtern (vgl. Malik, 2019, S. 143). Die Anwendung verschiedener Führungsstile ist laut Heltzel (2021, S. 287–288) aber nur so weit möglich, wie dies von der Führungskraft als natürlich und in sich stimmig wahrgenommen wird. Die Notwendigkeit zur Authentizität wurde bereits erwähnt.
Ohnehin muss das Führungshandeln auch von den Mitarbeitenden als konsistent und prognostizierbar wahrgenommen werden, damit die Führungskraft als verlässlich und im Hinblick auf ihr Handeln in gewisser Weise vorhersehbar ist. Dies geschieht nicht nur durch Anwendung der Verhaltensregeln der Unternehmenskultur, sondern auch durch die Gültigkeit der Worte und Aussagen, sodass etwas auch so gemeint sein muss, wie es von der Führungskraft gesagt wurde. Geradlinigkeit und Offenheit sind daher wichtige Eigenschaften, um beziehungsorientiert zu führen (vgl. Malik, 2019, S. 144–145).
Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Führungskräfte eine Vorbildfunktion besitzen (vgl. Heltzel, 2021, S. 289–290; Unkrig, 2020, S. 254–255). Diese Vorbildfunktion beschränkt sich nicht auf die fachliche Kompetenz und darauf, die Verantwortung für seine Aufgabenerfüllung zu übernehmen, sondern auch darauf, moralisch und mental aufrichtig und charakterfest zu sein (vgl. Malik, 2019, S. 246–247). Dies hat zur Folge, dass Mitarbeitende menschliche Fehler – etwas vergessen, schlecht gelaunt sein – ihrer Führungskräfte akzeptieren (vgl. Heltzel, 2021, S. 290).
Die Rede von guter Führung stellt somit einen Idealtypus dar. Führungskräfte müssen sich also von der Vorstellung verabschieden, dass sie stets situationsübergreifend richtig führen. Hierbei ist es laut Malik (2019, S. 138–139) wichtig, sich als Führungskraft Fehler einzugestehen, ansonsten wird es passieren, dass die guten Mitarbeitenden das Unternehmen verlassen und diejenigen, die bleiben, werden innerlich kündigen. Abzulehnen ist in jedem Fall ein Führungshandeln, das sich vorrangig an der Erreichung von operationalisierten Vorgaben orientiert (Management by Objectives), weil dies den Kontrollbedarf erhöht, was von Mitarbeitenden unter Umständen mit innerem Widerstand und Devianz quittiert wird und zudem der bereits kritisierten Steuerungsillusion nachhängt (vgl. Haubl, 2012, S. 375; Schreyögg & Koch, 2015, S. 454).
5. Fazit
In dieser Arbeit wurde danach gefragt, was gute Führung aus psychodynamischer und systemischer Perspektive bedeutet. Es wurde festgestellt, dass die psychodynamische Perspektive nicht nur in besonderem Maße die Interaktionen und die Kommunikation berücksichtigt, sondern vor allem die unbewusst ablaufenden Prozesse in den Blick nimmt. Aus der systemischen Perspektive lässt sich schlussfolgern, dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden nicht steuern können, sodass sie sich auf die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen beschränken.
Gute Führung bedeutet, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, was von einem systemisch-psychodynamischen Führungsverständnis ausgehend zur Folge hat, dass es keinen situationsübergreifend passenden Führungsstil gibt. Vielmehr müssen Führungskräfte auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung ihre Mitarbeitenden unterstützen, wofür ein hohes kommunikatives Gespür wichtig ist. Ebenso ist es Aufgabe der Führungskräfte, die im Zuge der Erledigung der Arbeitsaufgabe entstehenden und auf unbewusster Ebene vorherrschenden negativen Emotionen der Mitarbeitenden zu reflektieren und ihnen dadurch Sicherheit zu geben.
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